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Hundert Jahre Brillen Krille

Auszug aus Wolf-Dietrich Gehrke: Menschen unter sieben Türmen. Rostock, Hinstorff Verlag / Edition Konrad Reich, 1997

Es war im Jahr 1803, als die Glocken der Berliner St.-Gertruden-Kirche zur Taufe des Johann Heinrich David Krille läuteten. Die Eltern vom kleinen Johann waren kurz vor der Jahrhundertwende aus Kaditz bei Dresden nach Berlin gekommen. Unter ihrer Obhut wuchs ihr Sohn zu einem stattlichen jungen Mann heran, der 1819 einen „Lehrcontrackt“ beim Mechanicus C. G. Wagner unterschrieb. Johann Heinrich erlernte in fünf Jahren den Beruf eines „Opticus Mechanicus“. Für die Ausbildung, zu der auch die Münzpresserei gehörte, erhielt er keinen Pfennig, aber ein Wissen, das es ihm ermöglichte sich nach mehreren Jahren Wanderschaft 1834 in Schwerin am Großen Moor selbstständig zu machen. Johann Heinrich David Krille wurde zum Senior der Optiker Mecklenburgs.


Sein Enkel, Karl Krille, gründete 1894 in Rostock ein eigenes Geschäft. Es beging 1994 sein hundertjähriges Jubiläum.


Brillen Krille ist weit über die Grenzen von Rostock hinaus ein Begriff. Walter Kempowski erwähnte den Optikermeister in seinem Buch „Tadellöser & Wolff und der Werbeslogan der Firma„Ist’s die Brille, geh‘ zu Krille!“ gehört zur Stadt wie die sieben Türme auf dem Rathaus. Bei Karl Krille und seinen Nachfolgern – er hatte das Geschäft am 21. Oktober 1894 am Blücherplatz 3 eröffnet – gingen die bekanntesten Rostocker Optikermeister in die Lehre, bzw. arbeiteten hier als Gesellen: Kussatz, Schollmeyer, Baudis, Ohlerich, Schmidt. Das hohe fachliche Können brachte Karl Krille viel Anerkennung.


Der Großherzog verlieh ihm und seinem Bruder, der das Schweriner Geschäft der Krille-Dynastie führte, den Titel eines Hoflieferanten. Im Jahr der Jahrhundertwende verlegte Karl Krille das Geschäft zum Blücherplatz1910 erfolgte dann der Umzug in das heutige Geschäft Kröpeliner Straße 87. Nach dem Tode von Karl Krille 1920 übernahm der aus Hannover stammende Schwiegersohn Ernst Ammenn den Betrieb


Er baute ihn weiter aus und erwarb 1926 in der Tessiner Straße für die Familie ein eigenes Haus. Hier herrschte stets ein reges gesellschaftliches Leben, da Frau Ammenn eine bekannte Konzertsängerin war. Ihre Mutter stammte aus Tiblissi und feierte als Opernsängerin große Erfolge. Der Rostocker Maler Turo Balzer porträtierte die Familienmitglieder in Öl. Ernst Ammennhielt gemeinsam mit seinem Sohn Friedbert, der 1950 in die Firma eintrat, auch in schwierigen Zeiten das Geschäft über Wasser.

50- jähriges Geschäftsjubiläum am 21. Oktober 1944

Einige kurzsichtige DDR-Handelsfunktionäre wollten auch in Rostock in den 70er Jahren möglichst viele Handwerksbetriebe in die Genossenschaft treiben. Als Druckmittel benutzten sie die Warensperre. Bestimmte Gläser und Gestelle wurden aus der Optikerstadt Rathenow plötzlich nicht mehr geliefert. Wie viele seiner Kollegen konnten sich Ernst Ammenn und sein Sohn Friedbert nur dadurch helfen, daß sie mit Aalen von der Küste ins Brandenburgische reisten.

Ernst Ammenn starb im 99. Lebensjahr knapp zwei Jahre vor der Wende. Mit über 80 war er noch erfolgreich in seinem Betrieb tätig. Sein Sohn Friedbert wurde ein würdiger Nachfolger im ältesten Optikergeschäft von Rostock. Er führte auch seinen jüngsten Sohn Frank in die Geheimnisse des Optiker-Handwerks ein. Sein zweiter Sohn Henri ist Arzt. Für ihn kam eine Ausbildung als Optiker nicht in Frage, weil zu DDR-Zeiten niemand wußte, ob die Familientradition weiter geführt werden konnte. Sohn Frank ist für Einkauf und Ausstattung des Geschäftes zuständig. Friedbert Ammenn kümmert sich um den ungeliebten Schreibkram. Außerdem ist er in der Prüfungskommission des Landes-Innungsverbandes tätig. Seine Frau Käthe hilft gleichfalls im Geschäft.

Nach der Wende wurde es umgebaut, den neuen Bedingungen angepaßt. Es gibt heute hier Computerarbeitsplätze und modernste Technik für die Augenprüfung. Karl Krille hatte bei der Geschäftsgründung die Schleifscheibe noch mit dem Fuß gedreht. 1905 konnte er die erste elektrische Schleifscheibe in Betrieb nehmen.



Mit Frank Ammenn wurde die sechste Generation bei Krille tätig, seit der Stammvater Johann Heinrich David die Firma gründete. Und mit Frank kamen auch neue Ideen. Dazu gehört u.a. der Einkauf in Italien auf dortigen Fachmessen. Der Einkauf wurde möglich durch das gemeinsame Auftreten der Krille-Geschäfte in Rostock, Schwerin und Hamburg. Die Hamburger Firma gründeten Nachkommen vom Bruder Krilles. Sie hatten 1958 Schwerin verlassen, sind jetzt aber auch wieder in der Landeshauptstadt präsent.

1919 hieß es in einer Anzeige in einer Rostocker Tageszeitung, daß bei Krille im Lager Brillen, Lorgnetten und Theaterperspektiven „für jedermann“ bereitstünden. Heute wirbt das Haus u. a. für Gleitsichtgläser und Halbbrillen mit Gestellen führender italienischer Designer.
Brillen Krille, das Fachgeschäft am Rostocker Boulevard, beging sein 1oo-jähriges Jubiläum festlich. Viele Gäste und Gratulanten konnten in der ältesten Firma der Branche in Mecklenburg begrüßt werden. Für alle Kunden gab es einen 25-prozentigen Jubiläumsrabatt und natürlich viele Überraschungen für Kinder. Sieben ist die Rostocker Zahl. Und schon heute kann man sicher sein, es wird eines Tages auch bei Krille einen Firmeninhaber aus der siebenten Generation geben.


Was sonst noch geschah: